04—Kirche
tolles Bild

......... Gebet für den „lieben Vater“ statt für den „tapferen Helden“
„Herr, dein Wille geschehe! / Ist auch kärglich des Krieges Brot, / Schaff nur täglich den Feinden Tod!“
(Dietrich Vorwerk: „Kriegsvaterunser“, 1914)
Zu Beginn des Krieges klingt vieles blasphemisch. Thomas Mann lobt Gott „für den Zusammenbruch einer Friedenswelt“, die er „so überaus satt“ hat. „Gott mit uns“, ein Schlachtruf, der schon im Dreißigjährigen Krieg Verwendung fand, ziert das Koppelschloss der deutschen Soldaten. Und Kaiser Wilhelm II., Oberhaupt der evangelischen Kirche Preußens, fordert seine Untertanen auf: „Jetzt geht in die Kirche, kniet nieder vor Gott und bittet ihn um Hilfe für unser braves Heer“. Fünf Tage zuvor ist durch das Telegramm eines bayerischen Diplomaten bekannt geworden, dass Papst Pius X. „ein scharfes Vorgehen Österreichs gegen Serbien“ billige.

Die Church of England, die Fédération protestante de France, die russische Orthodoxie, die im deutschen Kaiser den Antichrist sieht – „jede Kirche suchte das moralische Recht für ihre Nation zu reklamieren, einen bellum justum zu führen“ (Gerhard Besier). Nur Anhänger religiöser Randgruppen wie Quäker, Mennoniten oder Zeugen Jehovas nehmen das christliche Friedensgebot ernst. Sie verweigern den Kriegsdienst. Auch der neue Papst, Benedikt XV., lässt sich nicht einspannen. Er nennt den Krieg „eine grauenhafte Schlächterei“.
„Von heute ab ist um glücklichen Ausgang des Krieges täglich abends 5 Uhr in der Franziskanerkirche ein hl. Rosenkranz.“
(Ingolstädter Tagblatt, 1914)
Garnisonkirche (Franziskanerkirche), Harderstraße 4

Für viele ist der Krieg ein Abenteuer – oder, wie für den Maler Franz Marc, eine „Reinigung“, ein „heilsamer, wenn auch grausamer Durchgang“. Auf dem Land denkt man anders: Wie soll die Ernte eingebracht werden, wenn Väter, Söhne, Knechte und Gäule im Krieg sind? Und was passiert, falls sie nicht mehr zurückkehren? Das fragen sich auch Handwerker, Kaufleute und Fabrikbesitzer. „Krieg! Mobil! – Das bedeutet einen Ozean von Blut und Tränen“, prophezeit das Tageblatt für Thale am Harz am 2. August 1914. Wie immer in Zeiten der Not füllen sich die Kirchen.

In Ingolstadt dient das frühere Gotteshaus der Franziskaner als katholische Garnisonkirche. Die Harderstraße, an der sie liegt, ist schon vor Beginn des Krieges Schauplatz von Militärparaden. Ab August 1914 ziehen Zehntausende von Soldaten über die Harderstraße zum heutigen Hauptbahnhof und weiter in den Krieg. Die Garnisonkirche der „Evangelischen“, St. Matthäus, erhebt sich gleich dahinter. Hier findet am 31. Juli 1914 abends „½ 6 Uhr noch rasch vor dem etwaigen Ausmarsch die Trauung eines Hauptmanns“ statt, „ein Akt“, der laut dem Berichterstatter des Ingolstädter Tagblatts „überaus ergreifend wirkte“.
„Wer vermag sich aus dieser Flut von Schmutz zu retten, wenn Gott ihm nicht hilft?"
(Angelo Roncalli, später Papst Johannes XXIII., 1917)
Uniformrock von Pater Rupert Mayer, OG: Raum 20

Markige Sprüche begleiten den „Ausmarsch“ der Soldaten: „Jeder Stoß ein Franzos‘“. „Jeder Tritt ein Brit‘“. „Aus Nikolaus, dem Zarenfürst, da mach‘ ma Blut- und Leberwürst“. An der Front, die zerrissenen Leiber der Kameraden vor Augen, traumatisiert und womöglich selber verwundet, wird seelsorgerlicher Beistand zu einem existenziellen Bedürfnis. Für jüdische Soldaten gibt es eigene Feldrabbiner. Die Militärgeistlichen sind oft national eingestellt, verstehen sich als Soldaten, erhalten Auszeichnungen und tragen ihre Orden mit Stolz.

Der Jesuitenpater Rupert Mayer hat sich freiwillig gemeldet. Zu seinen ersten Aufgaben gehört die Beerdigung von deutschen und französischen Soldaten. An den Sonntagen hält er bis zu acht Gottesdienste – meistens unter freiem Himmel. Um besser gesehen zu werden, sitzt er dabei häufig zu Pferd. 1916 gerät er in russisches Sperrfeuer. Sein linker Unterschenkel hängt in Fetzen. Das Bein muss amputiert werden. Mit solchen Verletzungen hat auch der spätere Papst Johannes XXIII. zu tun. Er ist 1917 als Feldkaplan für ein hoffnungslos überbelegtes Lazarett in Bergamo zuständig: „Zuzeiten, wenn ich mit dem Herrn allein bin, überwältigt mich die Verzweiflung.“