06—Verpflegung
tolles Bild

......... Hunger widersetzt sich der Propaganda:
Auch 1918 kann nur ein Drittel des Kalorienbedarfs gedeckt werden
(CC-BY-SA 3.0)
„Die Verteilung der Lebensmittelmarken findet am Samstag im Mädchenschulhaus in der Kupferstraße statt.“
(Ingolstädter Tagblatt, 1917)
Am 1. August 1914 berichtet das Ingolstädter Tagblatt, die Lebensmittelversorgung sei allerorten „Gegenstand der Unterhaltung“. Allerdings bestehe kein Anlass zur Sorge. Denn dank des schönen Wetters könne eine „gut stehende Kornernte eingebracht“ werden. Trotzdem kommt es zu Hamsterkäufen. Schon in der ersten Kriegswoche werden auf dem Wochenmarkt Wucherpreise für Kartoffeln und Eier verlangt. 1915 steigt in Berlin der Preis für ein Pfund Butter von 1 Mark 40 auf 3 Mark 30. Brot wird nur noch gegen Lebensmittelmarken ausgegeben. Bald sind auch Fleisch, Speisefett, Zucker, Kaffee und Milch rationiert.

Ebenfalls 1915 erscheint eine Rezeptsammlung mit dem Titel „Kriegskost“. Sie versteht sich als „Anleitung zu zeitgemäßem Kochen“ und empfiehlt unter anderem „Geröstetes Schweinsblut“. Ein Couplet wird populär: „Eichenkatzerl, Dachs und Marder / Tut man meucheln, Hund und Katz, / Fuchs und Maulwurf, Tauben, Krähen / Sicher sind nicht Maus, nicht Ratz.“ Im Winter 1916/17 gilt die Steckrübe oder Dotschen, eigentlich ein Schweinefutter, als Hauptnahrungsmittel. Hunger und Entkräftung fordern laut dem Reichsamt des Inneren bis 1918 deutschlandweit 763.000 Menschenleben.
„1 Million Eier, für Frankreich bestimmt, wurden konfisziert. Das Proviantamt hat gute Verwendung dafür.“
(Ingolstädter Tagblatt, 1914)
Kriegsbäckerei, Proviantstraße 1

Das Gebäude des heutigen Insolvenzgerichts hat eine bewegte Geschichte. Es gilt als Geburtsstätte der Audi AG. Denn in diesem Haus wird 1949 die Auto Union gegründet. Zuvor dient es dem Proviantamt als Verwaltungssitz. Hier laufen während des Krieges die Fäden der Lebensmittelversorgung zusammen. In Nebengebäuden lagern Vorräte.

Zum Proviantamt gehört die unmittelbar benachbarte, dampfbetriebene „Kriegsbäckerei“. Sie sichert die Versorgung der Garnison und notfalls auch die der Stadt. Der Krieg kommt zwar nicht unmittelbar nach Ingolstadt. Trotzdem läuft der Betrieb, dem die „Königlich Bayerische Mahlmühle“ angeschlossen ist, auf Hochtouren.

Errichtet zwischen 1877 und 1880, ist die „Kriegsbäckerei“ auf die Herstellung von 16.000 Laib Brot pro Tag ausgelegt. Aber was heißt schon „Brot“ in Tagen der Not? Mehl ist knapp, wird mit Kartoffel-, Mais- oder Sägemehl gestreckt und enthält durch das stärkere Ausmahlen des Getreides viel Kleie. Der Nährwert ist reduziert. „Kriegsbrot“ schimmelt schnell. In Wirtshäusern darf gar kein Brot mehr angeboten werden. Aus dem Sortiment der Bäckereien verschwinden Hörnderl, Brezen, ja sogar Kaisersemmeln. Selbst das Kuchenbacken wird verboten.
„Mutter kann jetzt nichts schicken, weil keine Wurst gibt es nicht.“
(Brief eines 15-Jährigen an seinen Vater im Feld, 1916)
Lebensmittelwagen, OG: Raum 30

An der Front wird die Verpflegung für Mensch und Tier üblicherweise mit dem pferdebespannten „Lebensmittel- oder Futterwagen“ geliefert. Die jeweiligen Mengen von Fleisch, Gemüse oder Kartoffeln pro Soldat sind exakt festgelegt. So stehen jedem Mann 750 Gramm Brot am Tag zu. Das lässt sich aber nicht durchhalten. Der durchschnittliche Tagesbedarf eines Erwachsenen liegt – ohne besondere Anstrengung – bei etwa 3.000 Kilokalorien. Angehörige der kämpfenden Truppe können von Glück reden, wenn sie auf 2.400 Kilokalorien kommen.

„Liebesgaben“ aus der Heimat sollen helfen, die Not zu lindern. Die Königlich Bayerische Festungs-Kommandantur Ingolstadt empfiehlt „Chocolade, … Kaffee, Thee und Limonade“, außerdem „Cigarren“. Von „Cigaretten“ und Alkohol wird abgeraten. Ein Gutsbesitzer aus der Nähe von Ingolstadt spendet für die Militärküche „3 fette Ochsen“ und für die Armeepferde „100 Ztr. Hafer, 400 Ztr. Heu und 800 Ztr. Stroh“. Trotzdem notiert Nikolaus von Endres, Kommandierender General des I. Armee-Korps, nach der Besichtigung von Pferden einer Artillerie-Einheit: „Sie sehen entsetzlich aus, nur noch Haut und Knochen! Sie bekommen täglich 2 Pfund Hafer, die englischen 13.“