12—Verklärung
tolles Bild

......... Angriffsbereit wie einst Jeanne d’Arc:
„Germania“ des Malerfürsten Friedrich August von Kaulbach
„Gefallen, ermordet, verschollen, wahnsinnig. Das ist die große, erhebende, veredelnde Kriegszeit.“
(Erich Mühsam, 1914)
Die Not der Industriearbeiter, die Selbstgefälligkeit der monarchischen Kräfte, der „intellektuelle Sumpf“ der Jahre vor 1914 – alles schreit nach einem Neuanfang. Deshalb wird der Krieg von weiten Kreisen der sogenannten „Intelligenz“ begrüßt. Max Weber, Soziologe von Weltrang, nennt den Waffengang „unerhört groß und wunderbar“. Der Bestseller-Autor Gustav Falke, dessen Dichtungen unter anderem von Richard Strauss vertont werden, lädt „Zum blutig frohen Reigen“. Und der Münchner Malerfürst Friedrich August von Kaulbach malt im patriotischen Überschwang eine propagandistisch grimmige Germania mit dem Titel „Deutschland, August 1914“.

Der Krieg wird zum „Stahlbad“ verklärt, „das wohltätig die Kräfte der Völker vor Erschlaffung bewahre“. Auch Juden und Sozialdemokraten melden sich freiwillig an die Front. Sie wollen beweisen, dass sie keine „vaterlandslosen Gesellen“ sind. Künstler der Schwabinger Boheme sehen im Krieg einen „befreienden Ausbruch aus der Langeweile des bürgerlichen Lebens und aus der Dominanz wirtschaftlicher Interessen“. Und die Burschenschaftler versichern sich gegenseitig, „daß wir auch diese größte Mensur unseres Lebens in Ehren bestehen werden“.
„Er hat den schönsten Tod gefunden, der einem deutschen Manne beschieden sein kann.“
(Ingolstädter Tagblatt, 1914)
Grab von Joseph Bengl am Westfriedhof, Westliche Ringstraße 12

Joseph Bengl, Sohn eines Volksschullehrers, macht am Humanistischen Gymnasium in Ingolstadt Abitur und schreibt sich als Student an der Ludwig-Maximilians-Universität in München ein. Er besucht aber keine einzige Vorlesung. Denn im November 1917 zieht er als Offiziersanwärter in den Krieg. Er ist 18 Jahre alt, wird Leutnant und Kompanieführer, überlebt einen Lungendurchschuss und einen Gasangriff.

In der letzten Kriegswoche erschießt er bei einem Scharmützel in Lothringen drei französische Soldaten. Dadurch, so heißt es, habe er seine Einheit vor einem Hinterhalt bewahrt. Er wird als „Held“ gefeiert. An der Spitze seiner Kompanie reitet er am 22. Dezember 1918 in Ingolstadt ein. Es ist ein Triumphzug.

Seine Tage aber sind gezählt. Zur gasgeschädigten Lunge kommt die Spanische Grippe. Am 2. Februar 1919, kurz vor seinem 20. Geburtstag, stirbt Joseph Bengl im Garnisonsspital Ingolstadt. Als Toter erhält er die höchste Auszeichnung, die Bayern zu vergeben hat: Rückwirkend zum 2. November 1918, dem Tag seiner „Heldentat“, wird er zum jüngsten und letzten Ritter des Militär-Max-Joseph-Ordens ernannt. Der damit verbundene, persönliche Adel scheint nur noch auf seinem Grabstein auf.
„Wer am meisten Menschen mordet, gewinnt.“
(Erich Mühsam, 1914)
Militärverdienstkreuz (offiziell: Militär-Verdienstorden), OG: Raum 11

Ludwig II. (1845-1886), der „Märchenkönig“, gilt als Schöngeist. Trotzdem will er „tapfere Kriegstaten“ und „hervorragende Verdienste um die Armee … belohnen“. Deshalb stiftet er 1866 als eine Art Vorstufe für den höherrangigen Militär-Max-Joseph-Orden den bayerischen Militär-Verdienstorden. Die Auszeichnung kennt fünf Klassen, darunter Großkreuz, Komtur, Ritter I. und II. Klasse. Sie wird 1920 letztmalig verliehen.

Wie das bekanntere Eiserne Kreuz hat auch der Militär-Verdienstorden die Form eines Kreuzes. Das ist kein Zufall. Er soll nicht nur an den Opfertod Christi erinnern. Er beschwört auch die unselige Tradition der mittelalterlichen Kreuzzüge. Heinrich Bedform-Strohm, Landesbischof der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern, wird 2014, im Rückblick auf den Krieg, „voller Scham … den Missbrauch der Kerninhalte unseres christlichen Glaubens“ geißeln.

Religiöse Verklärung und Sakralisierung verfangen aber schon damals nicht überall. Viele Soldaten wollen gar keine Helden werden. Sie schießen sich ins Bein, spritzen sich Petroleum oder schlucken Säure, um dem Krieg zu entkommen. Rund 3.000 deutsche Landser greifen zum allerletzten Mittel: Sie bringen sich um.