10—Verwundung
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......... Verwundet, aber nicht zwangsläufig dem Tod geweiht:
Krankentransport an der Front (H. Rex)
„Eine Festungsgranate kam angeheult, fuhr krachend durch die Hecke. Mir wurde schwarz um die Augen.“
(Wilhelm Heider, 1916)
Wilhelm Heider aus Pörnbach bei Ingolstadt ist 22 Jahre alt. Er dient in einem Artillerie-Regiment als „Fahrer“ eines pferdebespannten „Beobachtungswagens“. Am 25. August 1914 gerät seine Einheit bei Nancy ins Visier französischer Kanonen. Abends, kurz nach halb sieben, passiert es: „Meine Pferde stutzten und wollten sich gerade aufbäumen, ein furchtbarer Krach, schon lagen sie zu Tode getroffen, röchelnd und um sich schlagend am Boden. Der Luftdruck schleuderte mich in eine Hecke. Als ich meine Augen von Staub und Schmutz reinigte, sah ich, daß meine linke Hand herunterhing und das Blut ganz dick ausfloß.“

In keinem Krieg zuvor sind so viele Menschen verstümmelt und zu Krüppeln geschossen worden wie in den Jahren 1914 bis 1918. Die schlimmsten Wunden reißen die neuentwickelten Artilleriegranaten. Sie zerbersten bei der Explosion in scharfkantige Splitter. Allerdings ist die Überlebensrate verwunderter Soldaten höher als früher. Auch Wilhelm Heider kommt trotz seiner schweren Verletzungen durch. Denn zum ersten Mal in der Geschichte steht ein organisiertes Sanitätswesen bereit. 24.000 Ärzte kümmern sich allein um die deutschen Truppen. Es gibt sogar Pferde- und Hundelazarette.
„Der erste Verwundeten-Transport kam gestern am hiesigen Hauptbahnhof an.“
(Ingolstädter Tagblatt, 1914)
Reservelazarett II, Hauptbahnhof (Blick von der Fußgängerbrücke)

Mobile Verbandsplätze und Feldlazarette sichern als eine Art „Notaufnahme“ die medizinische Erstversorgung an der Front. Schwere Fälle werden ins Hinterland verlegt. Die dortigen „Kriegslazarette“ gleichen Großkrankenhäusern. Sie sind mit 10.000 oder mehr Verwundeten oft hoffnungslos überbelegt.
Den frontnahen Krankentransport übernehmen immer öfter Automobile: Ernest Hemingway nimmt als Fahrer des Roten Kreuzes am Alpenkrieg teil. Bei Fossalta an der Piave wird er selber schwer verwundet.

Die Verlegung von Invaliden in die Heimat ist Aufgabe der Eisenbahn. Der „Bayerische Lazarettzug Nr. 2“, ausgerüstet vom Deutschen Museum München, verfügt über 29 Waggons – darunter ein „Operations- und Röntgenwagen“.
Wilhelm Heider, dessen linker Arm zerschmettert ist, muss mit einem Viehwaggon vorlieb nehmen. Nach zehnstündiger Fahrt kommt er „am 31. August [1914] früh ½ 6 Uhr“ am Hauptbahnhof Ingolstadt an. Das „Reservelazarett II“ liegt direkt neben den Gleisen. Eigentlich sollte die im Rohbau fertige, 8.000 Quadratmeter große Halle ein Ausbesserungswerk für Lokomotiven werden. Stattdessen hat man den Boden jetzt notdürftig mit Stroh ausgelegt, um Verwundete aufnehmen zu können.
„Amputierte, Blinde, im Antlitz entstellte – ein grausiges Straßenschauspiel, das die Bevölkerung erregte.“
(Willy Hellpach, 1949)
Kriegsversehrter (Foto), OG: Raum 26

Trotz mehrfacher Komplikationen kann Wilhelm Heiders Arm im Reservelazarett II wiederhergestellt werden – dank einer Knochentransplantation und eines „Apparats“ mit „Charnieren, Streck- und Schiebeschrauben“. Die Behandlung dauert fast zwei Jahre. Andere erwischt es schlimmer. Bei besonders schweren Verletzungen, „verjauchten und madenversetzten Wunden“ bleibt den Ärzten nur der Griff zur Amputationssäge.

Um die Betroffenen wieder arbeitsfähig zu machen, entwickeln Chirurgen, Orthopäden und Medizintechniker „ein makabres Panoptikum von Ersatzgliedern“ (Bruno Schrep), etwa künstliche Arme, bei denen Zangen, Haken, Messer oder Bügeleisenhalter die Hände ersetzen. Der Medizinprofessor Ferdinand Sauerbruch konstruiert eine Prothese, deren Hand mit Hilfe noch vorhandener Muskeln bewegt werden kann.