16—Revolution
tolles Bild

......... Mit dem Ende des Krieges verliert auch König Ludwig III. von Bayern seine Macht:
Aus dem Herrscher wird ein Bürger
„Letzte Nachrichten: Umsturzbestrebungen in Bayern. Eine Volksregierung soll eingesetzt werden.“
(Ingolstädter Zeitung, 1918)
Prinzessin Therese, Schwester König Ludwigs III. von Bayern, ist eine hoch angesehene Naturwissenschaftlerin – und Ethnologin. Für die Worthülsen der Propaganda hat sie nur Verachtung übrig: „Lügen u. immer Lügen, … Verheimlichungen und Vertuschungen … u. zu all diesem eine Selbstgefälligkeit u. eine Heuchelei, die meinem wahrheitsdurstenden Character das Allerzuwiderste waren“, notiert sie schon 1914.

Auch bei der breiten Masse ist das Vertrauen in die politisch Handelnden bald dahin. 1915 erreicht den deutschen Kronprinzen ein anonymer Brief verwundeter Soldaten. Sie drohen, ihm „eine Portion Kugel [sic!] in den Hintern [zu] jagen“, sollte er sie „nochmals so plötzsinniger weise“ ins Feld schicken. 1916 tauchen in Ingolstadt beschmierte Waggons auf. „Schluß mit dem Krieg“ lautet die Losung auf den Truppentransportern. 1917 unterstützen die Arbeiter der Ingolstädter Rüstungsbetriebe einen Streik ihrer Kollegen in Berlin.

„Wir können nicht mehr“, tuschelt man in der Familie von Prinzessin Therese schon lange. Doch erst im November 1918 kommt das Ende. Der Krieg ist vorbei. Die Revolution fegt die alte Ordnung hinweg. König Ludwig III. von Bayern ergreift die Flucht.
„An der Westfront ist seit 7. November, 3 Uhr nachmittags Waffenruhe eingetreten.“
(Ingolstädter Zeitung, 1918)
Reduit Tilly, Klenzepark

Am 8. November 1918 nachmittags wundert sich der 13-jährige Georg Fischer über zwei Soldaten. Vor dem Kreuztor in Ingolstadt reißen sie die Hoheitszeichen von ihren Uniformmützen. Der Schuhmacherssohn stellt sie zur Rede: „‚Bua‘, sagte der eine Soldat, ‚jetzt is aus mit dem Schwindel, jetzt ist Schluß mit dem Krieg, jetzt hama Revolution! Deswegen schmeiß ma den Scheißdreck a weg‘.“

Am Vormittag ist in München eine Proklamation veröffentlicht worden: „Das Volk [hat] die Macht der Zivil- und Militärbehörden gestürzt und die Regierung selbst in die Hand genommen … Generalkommando und Polizeidirektion stehen unter unserem Befehl. Die Dynastie Wittelsbach ist abgesetzt. Hoch lebe die Republik!“

In Ingolstadt schürt das Ende des Krieges neue Ängste. Über Nacht haben 8.000 Menschen ihre Arbeit in den Rüstungsbetrieben verloren. Auch die Soldaten fallen als Wirtschaftsfaktor aus. Wovon soll die Stadt künftig leben? Tatsächlich werden aus den stillgelegten Rüstungsbetrieben neue, zivile Industrien erwachsen. Sie erheben Ingolstadt heute in den Rang einer „Boomtown“. Aber das ahnt in jenen Tagen noch niemand. Dafür spielt man wenigstens wieder Theater. Auf dem Programm steht „Sodoms Ende“.
„Die innenpolitische Umwälzung in Bayern ist eine Tatsache. Bleibt besonnen!“
(Ingolstädter Zeitung, 1918)
Philipp Scheidemann (Büste), OG: Raum 33

In den Tagen nach dem 8. November 1918 überschlagen sich die Nachrichten: „Waffenstillstandsbedingungen angenommen“. „Straßenkämpfe in Berlin“. „Kaiser Wilhelm auf holländischem Gebiet“. „Bolschewismus auch in Frankreich und England?“

In Ingolstadt hat sich der Volkszorn bereits im Mai 1918 am Brand des „Colosseums“ entzündet, einem mit Arbeitern überbelegten Gasthof in der Innenstadt. Unter den Schaulustigen: ein Kriegsinvalide mit amputiertem Bein. Sturzbetrunken wettert er gegen den Krieg. Er wird von der Polizei abgeführt – und von der erbosten Menge verteidigt. Das Gerangel entwickelt sich zum legendären „Rathaussturm“. Glasscheiben gehen zu Bruch. Aktenbündel, Schreibmaschinen und „gerahmte Königsbilder“ fliegen aus den Fenstern. Die Infanterie soll Ordnung schaffen. Doch die Soldaten verbünden sich mit der Menge, darunter Schülerinnen des Klosters Gnadenthal und Hausfrauen.

Der Aufstand verebbt. Und im November 1918 bleibt es in Ingolstadt erstaunlich ruhig. Der Systemwechsel vollzieht sich „ohne irgendwelche Störung“: Geräuschlos wird aus der ehemaligen königlich bayerischen „Landesfestung“ eine Zivilstadt des Freistaats Bayerns.