02—Rüstungsindustrie
tolles Bild

......... Eine der größten deutschen Waffenschmieden:
Die „Königlich Bayerische Geschützgießerei und Geschoßfabrik“ in Ingolstadt
„Dann brach ein Feuer aus Kanonenschlünden los, daß man glauben konnte, der Weltuntergang sei gekommen.“
(Feldpostbrief, 1914)
Dem Ersten Weltkrieg geht ein beispielloses Wettrüsten voraus. 1870 verfügt Frankreich über 1.584 Geschütze, 1914 sind es fast 8.000. Reichweite und Durchschlagskraft der Artilleriegeschosse brechen alle Rekorde. Das deutsche Maschinengewehr 08 (dem das Modell 08/15 folgen wird) feuert 450 Schuss pro Minute. Der Erste Weltkrieg ist eine gigantische Materialschlacht: Allein im September 1914, beim Vormarsch auf Paris, verschießt die deutsche Artillerie mehr Munition als im ganzen deutsch-französischen Krieg von 1870/71. Bei den großen Waffenschmieden wie Krupp klingeln die Kassen.

Der Grabenkrieg, in dem die Truppen oft über Monate keinen Meter vorwärts kommen, fordert noch mehr Waffen, noch mehr Patronen, noch mehr Geschosse. Der Ausstoß der Rüstungsfabriken ist gewaltig. Im März 1917 liefert Bayern 21.000 Gewehre, 16.430.400 Infanteriepatronen und 2.606.960 Granaten für die Artillerie. Die Metall- und Maschinenindustrie wird komplett auf die Waffenproduktion umgestellt. „Kriegsunwichtige“ Gewerbe verzeichnen dramatische Einbußen. Selbst die Nahrungs- und Genussmittelindustrie, die Bekleidungsindustrie und die Holzwirtschaft brechen ein. Viele Betriebe gehen Pleite.
„Die Königliche Geschützgießerei und Geschoßfabrik stellt sofort Metallarbeiter, Feuerarbeiter und Tagelöhner ein.“
(Ingolstädter Tagblatt, 1914)
Geschützgießerei und Geschoßfabrik, Esplande/Schloßlände

Ingolstadt zählt von 1914 bis 1918 neben der preußischen Waffenschmiede in Berlin-Spandau zu den wichtigsten Zentren der staatlichen Rüstungsindustrie. Schon 1865 hat im nahen Ebenhausen eine Pulverfabrik den Betrieb aufgenommen. Sie deckt den Gesamtbedarf der bayerischen Armee. Seit 1883 stellt das „Hauptlaboratorium“, aus Sicherheitsgründen am Stadtrand angesiedelt, Patronen aller Kaliber, Signalmunition und Zünder her. 1885 hat die „Königlich bayerische Geschützgießerei und Geschoßfabrik“ an der Schloßlände mit der Produktion von Kanonenrohren und Granatenrohlingen begonnen.

Mit den staatlichen Militärbetrieben entwickelt sich Ingolstadt zu einem führenden Industriestandort. Gearbeitet wird rund um die Uhr. Die Tagschicht dauert zu Beginn des Kriegs von 6 Uhr früh bis halb 8 Uhr abends. Kriegsbedingt explodiert die Produktion. Sie fordert immer mehr Arbeitskräfte. Die Bevölkerungszahl nimmt sprunghaft zu. 1910 hat die Stadt 23.700 Einwohner. 1916 sind es 47.000. Viele kommen in Barackenlagern unter. Daraus entsteht das heutige Josephsviertel. An der Hanstraße hat sich eine Arbeitersiedlung aus jenen Tagen mit idyllischen Backstein-Häuschen und Mehrparteien-„Villen“ erhalten.
„Die Luft ist zerrissen von heulenden, pfeifenden Granaten. Heut‘ ist Krieg! Er pflügt die Erde auf.“
(Erlebnisbericht, wohl 1917)
Granaten, OG: Raum 13

Der Granatapfel ist eine harmlose Frucht. Doch die ähnlich geformte und deshalb so genannte „Granate“ zählt zu den furchtbarsten Waffen überhaupt. Betongranaten durchschlagen massive Festungsmauern. Gasgranaten setzen chemische Kampfstoffe frei. Nebelgranaten nehmen jegliche Sicht. Die Granatkartätsche (auch als „Schrapnell“ bezeichnet) ist mit Metallkugeln gefüllt. Sie entfaltet ihre verheerende Wirkung auf „Weichziele“ bis zu einer Entfernung von fünf Kilometern. Abgelöst wird sie von der Sprenggranate. Ihre Trichter sind vielfach noch heute auf den Schlachtfeldern zu erkennen.

Auf den Kriegsschauplätzen in Flandern geht 1914 auch am Heiligen Abend ein „Stahlgewitter“ nach dem anderen nieder. Die Granatsplitter verursachen monströse Verletzungen und lehren selbst hartgesottenen Ärzten das Grauen: Im Januar 1918 wird in der Berliner Charité ein türkischer Feldwebel eingeliefert, dem eine Granate den größten Teil seines Gesichts weggerissen hat. Übrig geblieben sind die Stirn, das linke Auge und ein Rest des Unterkiefers. Stefan George schreibt 1917 in seinem Gedicht „Der Krieg“ vom Bruder, der „als brei und klumpen … in der schandbar zerwühlten erde“ sein Leben lässt.